Im thüringischen Gera organisiert ein Rechtsextremist seit Jahren Aufmärsche durch die Innenstadt. Bürger fühlen sich bedroht, doch die Stadt lässt das Treiben zu.
Thüringens Innenminister Georg Maier ist am Montag extra nach Gera gereist, um sich ein Bild der Lage zu machen. "Hier hat sich so eine Struktur verfestigt, die man sehr ernst nehmen muss", sagt der SPD-Politiker im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Kontraste. Er meint das Netzwerk um den einschlägig bekannten Neonazi Christian Klar.
Fast jeden Montag marschiert dieser mit seinen Anhängern durch die 95.000-Einwohner-Stadt in Ostthüringen.
Aktuell laufen gegen Klar nach Kontraste-Informationen mehr als ein Dutzend Strafverfahren, unter anderem wegen Volksverhetzung. Er ist im Bundesvorstand der Partei "Die Heimat", wie sich die NPD inzwischen nennt.
Seit Jahren zieht er, teils mit Fackeln und anschließendem, nicht genehmigtem Feuerwerk, durch Gera. Immer wieder beendete er seine Redebeiträge mit der Parole "Alles für Deutschland!" - die Losung der nationalsozialistischen SA.
Mehrfach fiel er auch durch klare Drohungen auf, über einen Thüringer Landesverfassungsrichter sagte er etwa: "Dieses Pack gehört an die Wand gestellt".
Gegendemonstranten drohte er, sie beim nächsten Mal zu überfahren wie "Viehzeug". Inzwischen hat Klar vieles davon öffentlich relativiert, er spricht von "Spaß" und "Überspitzung" und erklärt, sich künftig beherrschen zu wollen.
Schon vor einem Jahr zeigten Recherchen, wie passiv die lokalen Behörden sind.
Daran hat sich offenbar wenig geändert, im Gegenteil: Im Juli 2024 fand in Gera eine Kundgebung statt, das sich als Ersatzveranstaltung des andernorts untersagten Compact-Sommerfestes entpuppte.
Nachdem das Fest in Stößen in Sachsen-Anhalt verboten wurde, probierte es Christian Klar kurzerhand in Gera, mit Erfolg: Klar mobilisierte öffentlich auf Facebook und Telegram zu einer Kundgebung und kündigte als Gäste unter anderem Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer sowie den österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner an.
Der erklärte dann auf der Bühne: "Ich wollte mich nochmal für die Einladung und die Organisation bedanken, dass das abgesagte Sommerfest in Stößen hier ein Exil gefunden hat."
Im Kontraste-Interview erklärt Oberbürgermeister Kurt Dannenberg, warum er keine Möglichkeit gesehen habe, die Veranstaltung zu verhindern: "Versammlungen können grundsätzlich angemeldet werden, Versammlungen werden nicht genehmigt", sagt CDU-Politiker Dannenberg.
Insofern komme es immer auf die Gefahrenprognose an. Dass es sich um ein Compact-Fest handeln würde, habe er nicht gewusst. In einem so genannten Kooperationsgespräch mit Stadt und Polizei im Vorfeld des Festes hat Klar versichert, er werde keine Bezüge zum Compact-Magazin zulassen.
Ein weiteres Beispiel: Immer wieder werden auf den Kundgebungen von Christian Klar Feuerwerke gezündet. Diese bedürfen eigentlich einer Genehmigung der Stadt, die diese beim Landesamt für Verbraucherschutz in Thüringen einholen muss. Doch nach Kontraste-Recherchen ist dies in mehreren Fällen nicht erfolgt.
So fand etwa am 14. Oktober 2024 ein Feuerwerk statt - ohne jene Genehmigung. Das ist eine Ordnungswidrigkeit, die mit Bußgeld bis zu 50.000 Euro geahndet werden kann. Doch warum wurde das nicht von der anwesenden Polizei angezeigt? Auf Nachfrage heißt es, es habe mehrere alte Auflagenbescheide der Stadt gegeben, die für Klars Kundgebung ein Feuerwerk der Kategorie 2 genehmigen würden.
So hat sich die Ordnungsbehörde offenbar über ihre Befugnisse hinweggesetzt und den Einsatz von Feuerwerk bei den Demonstrationen von Klar genehmigt. Die Stadt Gera äußerte sich auf Nachfrage nicht dazu.
Laut dem Verwaltungsrechtler Michael Brenner von der Universität Jena hatten die mehrere Monate alten Auflagenbescheide darüber hinaus keine Gültigkeit mehr. Die Versammlungsbehörde müsse für jede einzelne Versammlung eine Gefahrenbeurteilung vornehmen und auf deren Basis Auflagen festlegen, so Brenner.
Der Thüringer Innenminister Maier kritisiert das Vorgehen der Stadt: "Ich bin der festen Überzeugung, man hätte in der Vergangenheit durchaus viel härtere Auflagen erlassen können, die dann auch rechtssicher sind." Die Zusammenarbeit mit der Versammlungsbehörde in Gera bewertet er als "nicht gut".
Auf der Plattform X bezeichnet er Klars Bündnis "Miteinanderstadt" als "ein rechtsextremes Netzwerk der schlimmsten Sorte" - auch wenn das Bündnis im Verfassungsschutzbericht nicht erwähnt wird. Im Kontraste-Interview bekräftigte Maier: "Wenn es klar ist, dass es sich um Feinde der Demokratie handelt und es ist in weiten Teilen der Fall bei dieser Struktur hier, dann ist es wichtig, dass die Demokratie hier Kante zeigt und klar den Rechtsstaat durchsetzt."
Das Bündnis fordert Geras Oberbürgermeister Kurt Dannenberg seit Monaten zum Gespräch auf. Der CDU-Politiker deutet nun an, offen für einen solchen Dialog zu sein, vorausgesetzt Neonazi Klar sitze nicht mit am Tisch:
"Es gibt verschiedene Vertreter, die sozusagen verschiedenen Spektren zuzuordnen sind, und das sind Vertreter, die durchaus für einen politischen Diskurs infrage kommen", so Dannenberg. Die gebe es in allen demokratischen Ecken, auch in dem Bereich des Bündnisses "Miteinanderstadt".
Christian Klar ließ eine Interview-Anfrage unbeantwortet, auf seinen Montagsdemonstrationen beteuerte er mehrfach, mit Kontraste nicht zu sprechen.
Am heutigen Donnerstagabend soll in Gera die Rechtsrockband "Flak" spielen. Der Anlass: Neonazi Klar eröffnet ein Büro der Partei "Die Heimat". Er scheint sich dort pudelwohl zu fühlen.